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#MCB19: Public Value und die Medien


Den Zusammenhalt in der Gesellschaft fördern, die Gemeinschaft stärken – das ist der Sinn von Public Value. Übersetzt bedeutet der Begriff aus dem Englischen soviel wie „Wert für die Öffentlichkeit“. Was sich erst einmal gut anhört, wird schnell zu einem theoretischen Begriff. Dann nämlich, wenn man anfängt, nach Beispielen zu suchen. Auf der MEDIA CONVENTION Berlin 2019 gab es darum am ersten Veranstaltungstag eine Podiumsdiskussion zum Thema.

Valerie Mocker, Vorkämpferin für eine Digitalisierung von der alle profitieren, machte den Begriff greifbarer, indem sie Beispiele aus ihrem Arbeitsalltag vorstellte: Sie ist Direktorin bei Nesta in Großbritannien, einem Fonds mit einer halben Milliarde Euro, der in soziale Innovationen investiert. Gemeint sind damit Dinge, die die Leben der Menschen besser machen. „Dazu gehört besser zu arbeiten, die Kinder besser großzuziehen, besser zu altern“, sagt Valerie Mocker. Ein Beispiel: Hat jemand einen Herzstillstand, braucht er innerhalb von vier Minuten medizinische Hilfe. Das ist jedoch in der Regel nicht zu leisten. Darum hat Nesta eine Plattform beziehungsweise App finanziert, die Good Sam heißt. Sie ist in England in allen Krankenwagen installiert. Fährt der Rettungswagen los, wird zeitgleich über GPS nach möglichen Ersthelfern in der Nähe des Patienten gesucht, die ihm zur Seite stehen können, bis der Krankenwagen eintrifft. Ein gutes Beispiel also für eine gemeinwohlorientierte Innovation in Kombination mit Digitalisierung. Überträgt man es auf die Medienbranche, müssten die Rundfunkanstalten also neue Formate entwickeln, die sich nicht einfach über den freien Markt finanzieren lassen. „Thematisch orientieren wir uns an den Megatrends“, sagt Valerie Mocker. „Dazu gehören die alternde Gesellschaft, Pflege, Gesundheit, digitale Bildung oder Werttransparenz.“

Public Value in den Medien
Nun ist Public Value den Medien kein unbekannter Begriff, ganz im Gegenteil: Prof. Dr. Leonhard Dobusch, Mitglied des ZDF-Fernsehrats und Professor für Betriebswirtschaft an der Universität Innsbruck, definiert ihn so: „Public Value ist ein Beitrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten und anderer gemeinnütziger Organisationen zu einer demokratischen Öffentlichkeit. Er ist nicht primär von Profitinteressen getrieben.“ Zwar leisteten auch profitorientierte Medien einen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit. Aber der öffentlich-rechtliche Rundfunk handle eben im Auftrag der Gesellschaft, und nicht, um Profit zu erwirtschaften. Dr. Yvette Gerner, Chefin vom Dienst in der ZDF-Chefredaktion und ab August Intendantin der ARD von Radio Bremen, sieht im Public Value Gedanken sogar „die DNA des öffentlich-rechtlichen Systems, den Auftrag als Kompass für die Content-Erstellung – egal auf welcher Plattform“. Dazu gehöre beispielsweise, dass im Rahmen der Europawahl am 26. Mai Fakten gecheckt oder Wahlsendungen angeboten werden. Conrad Albert, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der ProSiebenSat.1 Media SE, sieht das anders: „Es geht um die Inhalte, und nicht um die Institutionen“, sagt er. Schließlich böten die privaten Medien dieselben Inhalte an wie die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten. Außerdem erreichten sie eine junge Zielgruppe, die die Inhalte der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nicht nutzten.

Wie finanziert man Public Value in den Medien?
Damit ist man schnell bei der Frage der Finanzierung des dualen Systems, also des Nebeneinanders des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks: Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten bekommen zur Erfüllung ihres Auftrags Gebühren von den Zuschauern, den Rundfunkbeitrag. Zusätzlich dürfen sie in einem vom Gesetzgeber definierten Umfang Werbung schalten. Die privaten Rundfunkanbieter dagegen finanzieren sich ausschließlich über Werbung. Liefern die privaten Sender aber genauso wie die Öffentlich-Rechtlichen Public Value, und erreichen zudem andere Zielgruppen, so Alberts Argumentation, müssten sie ebenfalls Gebühren bekommen. „Mir geht es um die Frage, wie wir dieses System konvergent in eine neue digitale Medienordnung überführen“, so Albert. Schließlich stehe auch im Medienbericht der Bundesregierung 2018 auf Seite 57 explizit: „Als weiteres Element einer konvergenten Medienordnung könnte man beispielsweise einen Medieninnovationsfonds schaffen, durch den ein Teil des Rundfunkbeitrages auch für die Finanzierung unabhängiger privater Medienproduktionen eingesetzt wird.“ Ein rein kommerzielles Interesse könne man den Privaten außerdem nicht unterstellen: „Wir haben zum Beispiel kürzlich eine vierstündige Doku über Michael Jackson zur Prime Time ausgestrahlt. Das hätten wir aus einem rein kommerziellen Interesse nicht gemacht. Es war für uns aber ein gesellschaftlich relevantes Thema.“

Auch die privaten Sender produzieren wichtige Inhalte für eine demokratische Öffentlichkeit
Darüber, dass auch die privaten Sender wichtige Inhalte bieten, war man sich in Berlin einig: „Wenn wir darüber reden würden, was im öffentlichen Interesse ist, könnten wir diese Wertefrage ausklammern“, sagt Prof. Dr. Hansjürgen Rosenbauer, Vorsitzender des Medienrats der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (mabb). „Dann könnten wir fragen, ob es im öffentlichen Interesse ist, wenn Stefan Raab bei ProSieben oder Sat.1 eine Bundestagsshow macht, mit der er eine jüngere Zielgruppe erreicht. Ich würde sagen: Ja, das ist im öffentlichen Interesse. Allerdings denke ich, dass ProSiebenSat.1 auch mit anderen Nebengeschäften genug Geld verdient, um das selbst zu finanzieren.“ Leonhard Dobusch ergänzt: „Natürlich leisten private Medienanbieter wie ProSieben oder die Zeitungen einen Beitrag zur demokratischen Öffentlichkeit. Public Value folgt jedoch primär einer auftragsgetriebenen Logik, profitgetriebener Journalismus dagegen kommerziellen Interessen.“ Beide Logiken seien wertvoll und wichtig, so Dobusch. Conrad Albert fordert auch darum, ähnlich wie bei der Filmförderung, eine genaue Definition von Public Value in den Medien, um so festzulegen, was förderungswürdig ist und was nicht.

Definition von Public Value wichtig
Auch Hansjürgen Rosenbauer wünscht sich eine solche Definition. Er verweist auf die Forderung der Landesmedienanstalten: Es müsse garantiert werden, dass in einer digitalen Medienwelt Public Value Inhalte so auf allen Verbreitungswegen aufzufinden sind, „dass ich nicht erst einen Doktorabschluss machen muss, um zu wissen, wie man dorthin kommt.“ Als Beispiel dient das Medieninnovationszentrum Babelsberg, wo mit dem Tagesspiegel eine App entwickelt wurde, die prüft, wie eng Autofahrer an Fahrradfahrern vorbeifahren. „Daraus lassen sich Schlussfolgerungen für die Politik ziehen.“ Mit einer weiteren App könne man checken, wie glaubwürdig über das Internet gelieferte Inhalte aus Krisengebieten seien. „Das sind Dinge, die dem Journalismus und der Öffentlichkeit nutzen. Sie sind Public Value in einer neuen Welt und sie sind innovativ. Ich wünsche mir natürlich solche Projekte, genau so, dass sie verbreitet werden und auffindbar sind, und dass sie Beteiligung generieren.“

Position der Landesmedienanstalten

Vielfaltssicherung bedeutet auch, die Meinungs- und Angebotsvielfalt wo nötig zu pflegen. Programme, die einen besonderen Beitrag zur Meinungsvielfalt und Meinungsbildung leisten, brauchen eine positive Diskriminierung bei der Auffindbarkeit. Einzelheiten finden sich im gemeinsamen Positionspapier der Landesmedienanstalten aus dem Juni 2018. Das PDF kann hier heruntergeladen werden.


Die Definition von Public Value ist noch lange nicht abgeschlossen: „Wenn wir Public Value ernst nehmen, wie breit wollen wir dann das Meinungsspektrum abstecken? Welche Interessen hören wir nicht? Was müssen wir noch machen?“, fragt Yvette Gerner. „Ich glaube, wir bemühen uns alle in den letzten Jahren. Wir müssen versuchen, ganz nah an die User und Userinnen heranzukommen“, so Gerner. „Ich habe trotzdem das Gefühl, dass wir noch breiter diskutieren müssen.“ Wichtig sei außerdem, dass es einen Austausch darüber gibt, was gesellschaftlich gewünscht ist und was die eigentlichen Themen sind. „Auch die kritische Selbstreflexion von uns über das was fehlt, wird zunehmend bedeutsamer.“

Hansjürgen Rosenbauer ergänzt, dass es bei Public Value nicht nur um Journalismus geht. Auch ein gutes Fernsehspiel, ein Spielfilm oder eine gute Unterhaltungssendung sei wichtig. Leonhard Dobusch fordert dagegen mehr konstruktiven Konflikt, mehr Unterscheidbarkeit bei den Angeboten. Außerdem müsse man den Öffentlich-Rechtlichen erlauben, auf den Plattformen der sozialen Medien im Internet präsent zu sein: „Die Plattformen sind nicht per se schlecht. Aber wenn man den Öffentlich-Rechtlichen nicht erlaubt, dort aktiv zu sein, muss man sich nicht wundern, wenn diese Plattformen eine Schlagseite bekommen.“ Hansjürgen Rosenbauer versteht zwar den Wunsch nach Texten und anderen Inhalten der Rundfunkmedien im Internet, aber: „Die Presse darf durch Informationen der gebührenfinanzierten Sender im Netz nicht so eingeschränkt werden, dass sie keine Inhalte mehr liefern kann.“

Wie die Suche nach Public Value die Anbieter eint
Während es den Zuschauern eher egal ist, ob die Inhalte von öffentlich-rechtlichen oder privaten Anbietern kommen, ringen diese weiter um eine Definition des Begriffs und der Frage der Finanzierung. „Uns eint die Problematik, vor der wir alle stehen, und die Veränderungen in der Netzwelt“, sagte Yvette Gerner. „Wir sind alle auf der Suche und beobachten uns. In Einzelfällen wie bei Funk-Formaten kooperieren wir auch“, so Gerner. Conrad Albert berichtet zudem von Gesprächen, die man mit ARD- und ZDF-Verantwortlichen führe. Auch die ARD und das ZDF denken über eine vernetzte Mediathek mit gemeinsamer Suchfunktion und Login nach. Der Wert für die Zuschauerinnen und Zuschauer könnte durch solche Kooperationen steigen. Die Diskussion darüber, was Public Value heute ist und künftig sein könnte, sowie die Frage der Finanzierung dieser Inhalte, ist jedoch auch damit noch lange nicht beendet. Das hat dieses Panel deutlich gezeigt. Oder um es mit den Worten aus der Veranstaltungsbeschreibung zu sagen: „Public Value ist wie Teenage Sex: Jeder redet darüber, jeder behauptet ihn zu liefern, doch niemand weiß so richtig, wie er geht, wo er anfängt und wo er aufhört.“ Daran wird sich vermutlich auch in nächster Zeit nichts ändern.

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